Unlängst war ich auf Motivsuche in einem Landschaftsschutzgebiet, wo ich vorher noch nie war. Ein Baggersee, auf Google-Maps ein kleiner, schmutzig blauer Fleck, hatte mich verlockt dahin zu fahren. Vor Ort stellte sich heraus, dass er ausgetrocknet war. Das Gebiet war sehr groß und ein Dschungel, der bewohnt war von Milliarden von Ameisen. Sitzen war unmöglich. Selbst im Stehen waren Schuhe, Kleider in Sekunden übersät.
Später dann, im steilen Kieshang, fand ich einen blauen Punkt. Einen roten hätte ich als gutes Omen deuten können, Bildverkäufe usw. Aber ein blauer Punkt? Ich fing an zu überlegen, was das Blau bedeuten könnte, kam aber zu keinem Schluss.
Dann fing ich an zu grübeln: Etwas auf den Punkt bringen. Ein Kollege von mir definiert so seine Kunst. Für viele ist das ja das Kunstkriterium schlechthin. Dass man eine Formel findet, die Gestaltung so verdichtet, dass das Bild als Gleichung aufgeht. Reduktion – that ´s the point! – macht die Welt begreifbarer.
Pale blue dot (blasser blauer Punkt), so heißt ein Foto, das die Erde aus einer Entfernung von 6 Milliarden Kilometern zeigt. Sie ist auf dem Foto winzig klein, nur ein Punkt. Kein Foto zeigt die Erde aus noch größerer Entfernung. Ein Lichtkorn inmitten dunkler Farbschlieren, kaum zu sehen. Die Erde auf den Punkt gebracht, „eine Flocke“, weiter nichts… Wir gehen zur Erde auf Distanz wie zu einem Witz, dessen Pointe wir schon kennen, und bei dem wir müde lächeln, wenn wir ihn erzählt bekommen.
Ich habe mich im Dickicht dieses Dschungels nicht sehr wohl gefühlt. Mir ist da nichts gelungen. Es gab keine Wasserfläche, in der sich die Bäume spiegeln. Keine Klarheit. Keinen Ansatz, eine Bildformel zu entwickeln. Doch es gab den blauen Punkt, die Geschichte, und sie endet mit der strahlend gelben Blüte eines Löwenzahns im Morgenlicht des nächsten Tages… und so nah!
PS: Über den Pale blue dot gibt es ein Buch des Astronomen Carl Sagan. In dem Buch nennt er die Erde „eine einsame Flocke in der großen umhüllenden kosmischen Dunkelheit“ (a lonely speck in the great enveloping cosmic dark). Ich habe das Buch nicht gelesen. Es wird sehr gelobt.
Blauer Punkt im All. Droemer Knaur, 1996, Bechtermünz, 1999
ISBN 10: 3426269066 / ISBN 13: 9783426269060
Stefan Zeiler, im April 2020