Beatriz von Eidlitz – Die Geschichte der alten Papiermühle im Waldviertel

Ein Bericht von Beatriz von Eidlitz

Wie alles anfing

Die Papierwerkstatt in der Münchner Kunstakademie war im Jahr 1985 sehr frequentiert. Darum war ich damals auf der Suche nach einem Ort, um meine Diplomarbeit vorzubereiten. Zufällig erfuhr ich von einer alten Papiermühle im Waldviertel/Österreich. Kurz entschlossen machte ich mich auf den Weg zur historischen Wurzmühle nahe Bad Großpertholz. 1770 gegründet, schien der Ort in der Zeit stehen geblieben zu sein und war schon ein wenig dem Verfall anheim gegeben. An den Außenmauern bröckelte der Putz. Hier und dort waren Schäden notdürftig ausgebessert. Die alte Linde vor dem Hauptgebäude spendete Schatten und romantische Stimmung. Das Wasserrad, das den Holländer von 1827 antrieb und weiterhin antreibt, drehte sich nur noch selten. Es wurde fast nur noch eingesetzt, um graues Wollfilzpapier herzustellen. Wollmäntel aus Kriegszeiten dafür gab es noch zur Genüge auf dem Dachboden. Weißer Stoff aus reiner Baumwolle zur Herstellung des klassischen Hadernpapiers war dagegen selten geworden. 

Die Papiermühle

Beim Eintreten in die Papiermühle stand man in einem großen Raum. Der Fußboden war mit mächtigen Steinplatten ausgelegt. Früher befand sich in diesem Raum, mitten unterhalb des Gewölbes, eine riesige Papierpresse, die von Hand betätigt wurde. Diese Presse ist Ende der 1970er Jahre im Museum gelandet. Sie wurde durch eine hydraulische Furnierpresse ersetzt. 

Im nächsten Raum, auf einer erhöhten Galerie, thronte der Holländer, daneben die Rührbütte, zur Befüllung einer alten Papiermaschine zur Erzeugung von langen Papierbahnen. Sie besaß ein abenteuerlich anmutendes Kraftübertragungssystem aus hölzernen konischen Antriebsscheiben und ledernen Treibriemen. Damit wurde die Geschwindigkeit der Kraftübertragung eingestellt. Eine Häckselmaschine im Zwischengeschoss zerkleinerte den Baumwollstoff, bevor er im Holländer zu Papierpulpe zermahlen wurde. In einem weiteren Raum war die Handschöpferei untergebracht, mit Bottich, Filzen, Sieben, einer Schneidemaschine und weiterem Arbeitsgerät. Ein handbetriebener Lastenaufzug beförderte das frisch geschöpfte Papier in den Speicher hinauf, wo es zum Trocknen aufgehängt wurde. 

Die Papiermühle wurde zu meiner Werkstatt

Bei einem ersten Treffen mit Herrn Mörzinger, dem Besitzer der Mühle, fragte ich, ob es möglich wäre, die Räumlichkeiten für meine Diplomarbeit zu nutzen. Er war einverstanden, meinte aber, dass es an weißem Baumwollstoff fehlte und auch an brauchbaren Schöpfsieben. Wir kamen überein, dass ich versuchen würde, den passenden gewebten Stoff aus reiner Baumwolle zu beschaffen. Nach zwei Wochen des Rumtelefonierens fand ich eine kleine Konfektionsfirma für Ärztekittel. Mit einem Auto voller Schnittabfälle, die beim Zuschneiden der Kittel anfielen, machte ich mich wieder auf den Weg in die Papiermühle. Auch Siebe zum Papierschöpfen hatte ich aufgetrieben. Frau Mörzinger zerkleinerte die Schnittabfälle. 30 Kilogramm davon landeten in dem mit 1000 Litern Wasser befüllten Holländer. Dann wurde das Wasser des Baches auf das Wasserrad gelenkt und das Gebäude der Mühle erfüllte sich mit lauten Mahlgeräuschen, die Mauern fingen an zu vibrieren. Der Mahlvorgang dauerte fünf bis sechs Tage, je nachdem wie viel Wasserkraft der vom Bach gespeiste Werkskanal gerade lieferte. 

So begann ich dort mit meinen Experimenten. Im Gegenzug baute ich die Papierschöpferei aus, gab beim örtlichen Schreiner Schöpfsiebe in Auftrag, spürte weitere Bezugsquellen für das rare Baumwollmaterial auf und schöpfte Büttenpapier für den Verkauf. Anfang der 90er Jahre konnte ich mir dann in München eine eigene Werkstatt einrichten. Doch die Papierpulpe zum Schöpfen holte ich mir noch viele Jahre aus der Mörzinger-Mühle.

Heute

In den letzten dreißig Jahren hat die Papiermühle ein neues Gesicht erhalten. Inzwischen ist das Gebäude saniert, die Papiermühle wurde renoviert und hat sich in einen musealen Ort verwandelt. Es gibt Führungen und eine Jausenstation für Besucher und Wanderer. Auf die alten Papiermacher folgte die nächste Generation. Die romantische, Schatten spendende Linde gibt es nicht mehr.

Im Atelierprojekt kannst du in der Papierwerkstatt bei Beatriz die Praxis des Papierschöpfens und Gestaltens lernen
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